Beitrag von Dr. Fabian Breckheimer
Schon Ende März steht fest: Das Jahr 2020 ist ein historisches Jahr und droht mit zahlreichen negativen Superlativen in die Geschichte einzugehen. Soeben mussten sich deutsche Unternehmen noch mit dem Handelskrieg zwischen den USA und der VR China befassen, mit dem Brexit, mit Sanktionen und Embargos, da drängte sich das neuartige SARS-CoV-2 oder „Coronavirus“ ins Bewusstsein der gesamten Welt. Die vorgenannten Krisen und Probleme bleiben derweil ungelöst, wohlgemerkt!
Die negativen wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie sind heute noch nicht absehbar, sie werden aber immens sein.
Deutsche Unternehmen stehen aktuell jeden Tag u.a. vor der schwierigen Frage, welche rechtlichen Konsequenzen Disruptionen in der globalen Lieferkette für sie haben und ob sich die daraus resultierenden wirtschaftlichen Risiken ggf. vertraglich reduzieren lassen. Nicht wenige Geschäftsführer und andere Unternehmensverantwortliche blättern aktuell hilfesuchend in bestehenden Lieferverträgen oder müssen entscheiden, auf welcher vertraglichen Basis man heute noch Lieferzusagen für die Zukunft abgeben kann.
Weder das deutsche Recht noch andere nationale Rechtsordnungen halten für derartige Fragen die eine allgemeingültige Antwort bereit. Es müssen vielmehr eine Vielzahl von Überlegungen im Einzelfall angestellt werden, um „die Lösung“ für das jeweilige Problem zu finden.
Dieser Beitrag zeigt beispielhaft und ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf, welche Rechtsfragen sich für deutsche Unternehmen im Zusammenhang mit Störungen der Lieferkette stellen.
Von größter praktischer Relevanz ist aktuell sicherlich die Verpflichtung von Unternehmen innerhalb einer bestehenden Lieferkette gegenüber ihren jeweiligen Abnehmern, verbindlich bestellte Ware zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort zu liefern. Kann ein Lieferant diese vertraglich übernommene Pflicht nicht oder nicht wie geschuldet (also etwa verspätet) erfüllen, drohen Schadensersatzforderungen und gegebenenfalls die Erklärung des Rücktritts oder der Vertragsaufhebung durch den Käufer. Erschwerend kommt hinzu, dass sich diese Disruptionen wellenartig entlang der häufig eng verzahnten Lieferkette ausbreiten, es kommt zu Dominoeffekten. Deutsche Unternehmen sind dabei regelmäßig beides, Abnehmer und Lieferant. Sie stehen also vor der Frage, welchen Ansprüchen sie seitens ihrer Abnehmer ausgesetzt sind und welche Forderungen sie gegenüber ihren eigenen Lieferanten geltend machen können.
Kann der Lieferant trotz entsprechender Vertragspflicht nicht liefern, ist er zum Ersatz des entstehenden Schadens verpflichtet, wenn er die Nichtlieferung zu vertreten hat.
Handelt es sich bei dem Liefergegenstand um sog. Gattungsschulden, wird nach deutschem Recht vermutet, dass der Verkäufer das Beschaffungsrisiko übernommen hat. Er verspricht mit Abschluss des Kaufvertrages also nicht nur die Verschaffung der Sache oder Leistung überhaupt, sondern auch deren fristgemäße Verschaffung.
Nichts anderes gilt nach dem UN-Kaufrecht, welches bei Exportgeschäften deutscher Unternehmen bekanntlich stets zu berücksichtigen ist. Beim marktbezogenen Gattungskauf, der im internationalen Handel die Regel darstellt, trägt der Verkäufer das Risiko, dass ihm die Beschaffung der Ware gelingt. Er wird grundsätzlich nicht dadurch entlastet, dass ihn sein Lieferant im Stich lässt. Solange noch Ersatzware auf dem Markt erhältlich ist, muss der Verkäufer bis zu einer „äußersten Opfergrenze“ alle Möglichkeiten einer Ersatzbeschaffung ausschöpfen. Gelingt eine Ersatzbeschaffung nur mit Verspätung, kann sich der Verkäufer hinsichtlich der Verspätung nur dann entlasten, sofern er nachweist, dass er durch ein nicht beherrschbares und nicht vorhersehbares Ereignis an der rechtzeitigen Erfüllung gehindert wurde. (Zur Relevanz von Force Majeure sogleich unten 6.).
Hinsichtlich des Beschaffungsrisikos lohnt ein Blick in die eigenen allgemeinen Verkaufsbedingungen: Durch entsprechende Klauseln kann der Verkäufer, falls diese Klauseln im Einklang mit aktueller AGB-Rechtsprechung und damit wirksam vereinbart sind, das Beschaffungsrisiko von sich weisen. Das ist im Übrigen ein praktischer Beleg für die Relevanz von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und weshalb jedes Unternehmen im eigenen Interesse darauf achten muss, seine AGB stets aktuell zu halten und wirksam in seine Lieferverträge einzubeziehen (an beidem krankt es in der Praxis noch zu oft, an der wirksamen Klauselgestaltung und an der wirksamen Einbeziehung der AGB in den Vertrag).
Schon anhand dieser Feststellungen wird deutlich, dass in Sachen Risikoverteilung das Pendel mal so, mal anders ausschlagen kann. Wohl demjenigen, der seine Rechtsposition durch sorgfältige Vertragsgestaltung gestärkt und gesichert hat.
Man stelle sich nun etwa den Beispielsfall vor, dass der deutsche Lieferant zwingend auf Zulieferteile aus China oder Norditalien angewiesen ist, diese aber nicht rechtzeitig bekommen wird. Er selbst ist aber vertraglich verpflichtet, seinen Kunden in der Schweiz zum vertraglich festgelegten Zeitpunkt mit dem Endprodukt zu beliefern. Beharrt der schweizerische Käufer nun auf Vertragserfüllung „wie geschuldet“, droht der deutsche Lieferant bei verspäteter Lieferung oder Nichtlieferung vertragsbrüchig zu werden.
Welche rechtlichen Instrumente können dem deutschen Lieferanten in dieser Situation helfen?
Jedenfalls im allgemeinen Sprachgebrauch käme man rasch zu dem Begriff der Unmöglichkeit: Der Lieferant wird einwenden, ihm sei die Erfüllung seiner Lieferpflicht gegenüber dem Käufer „unmöglich“ geworden. Juristisch ist das Rechtsinstitut der Unmöglichkeit jedoch an enge Voraussetzungen geknüpft.
Da sich der eigentlich zur Leistung verpflichtete Vertragspartner im Falle von Unmöglichkeit einseitig von seiner Verpflichtung lösen könnte, sind deren Voraussetzungen kritisch zu prüfen: Handelt es sich um echte Unmöglichkeit oder bloß um eine Erschwerung der Leistung? Liegt ein dauerhaftes oder ein vorübergehendes Hindernis vor? Geht es um subjektive oder objektive Unmöglichkeit? Ist rechtliche Unmöglichkeit (z. B. als Folge eines Embargos) gleichbedeutend mit tatsächlicher Unmöglichkeit?
In der Praxis stellt das, was laienhaft als Unmöglichkeit angesehen werden könnte, lediglich eine – wenn auch u.U. erhebliche – Erschwerung der Leistung dar. Etwas salopp formuliert: Dass es für den Lieferanten nun teurer und schwieriger geworden ist, die benötigten Teile andernorts zu beschaffen, ist nicht gleichbedeutend mit „unmöglich“. Und so wird der Lieferant häufig unter Inkaufnahme finanzieller Nachteile eine alternative Lieferroute wählen, einen alternativen Zulieferer ausfinden machen müssen, o.ä.
Rechtlich wird erst bei der so genannten wirtschaftlichen Unmöglichkeit eine Grenze gezogen. Denn unmöglich ist nach der Rechtsprechung nicht nur eine „denkgesetzlich unausführbare“ oder infolge von rechtlichen Hindernissen auf keine Weise zu erbringende Leistung, sondern auch eine solche, deren Erfüllung erhebliche praktische Schwierigkeiten entgegenstehen, so dass jeder vernünftige Mensch von einem Erfüllungsversuch Abstand nehmen würde.
Selbst wenn der Lieferant aber bei Vorliegen aller Voraussetzungen von seiner Leistungspflicht (ggf. vorübergehend) befreit würde, so hilft ihm das häufig nur bedingt. Denn auch der Käufer wird dann von seiner Pflicht befreit, den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen, und kann sogar – bei Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen – Schadensersatz vom Lieferanten verlangen. An dieser Stelle kommt dann erneut das oben erwähnte Beschaffungsrisiko zum Tragen.
Wie liegen die Dinge nun im Falle eines Corona-bedingten Stillstands der italienischen Zulieferbetriebe? Beruht dieser Stillstand auf hoheitlichen Zwangsmaßnahmen, ist es grundsätzlich denkbar, dass sich der italienische Zulieferer auf einen Fall der (subjektiven) Unmöglichkeit berufen kann. Es kommt aber naturgemäß auf den konkreten Einzelfall an, auf die tatsächlichen Umstände und auf die vertraglichen Vereinbarungen. Trotz Produktionsstillstands wird der eine italienische Zulieferer wegen ausreichender Lagerbestände noch lieferfähig sein, andere hingegen nicht. Und der eine deutsche Lieferant, der um seine Abhängigkeit von ausländischen Zulieferern weiß, wird entsprechend benötigte Teile ausreichend bevorratet haben, während der andere dies nicht getan hat.
Auch andere nationale Rechtsordnungen kennen die Rechtsfigur der Unmöglichkeit („frustration“ im englischen Recht, „impossibilità“ im italienischen Recht, etc.). Wie nach deutschem Recht sind die Hürden aber hoch und der praktische Anwendungsbereich häufig überschaubar.
Auch an die so genannte Störung der Geschäftsgrundlage ließe sich im Beispielsfall denken. Deren Voraussetzungen sind jedoch gesetzlich eng normiert und die Rechtsprechung wendet dieses Instrument restriktiv an. So setzt eine Störung der Geschäftsgrundlage voraus, dass sich die Umstände, die zur Geschäftsgrundlage geworden sind, schwerwiegend verändert haben, die Parteien den Vertrag bei Voraussehen dieser Veränderung nicht oder nur mit anderem Inhalt geschlossen hätten, und dass einem Vertragsteil unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Zentraler Beurteilungsmaßstab ist die vertragliche oder gesetzliche Risikoverteilung. Es ist daher in jedem Einzelfall zu ermitteln, in wessen Sphäre das eingetretene Risiko nach der vertraglichen oder gesetzlichen Regelung fallen soll. Nur wenn das störende Ereignis weder in die Risikosphäre der einen noch der anderen Partei fällt, kommt eine Vertragsanpassung (oder Vertragsaufhebung als ultima ratio) in Betracht.
Dabei besteht wiederum Einigkeit, dass der bloße Umstand der Leistungserschwerung typischerweise in den Risikobereich des Schuldners fällt; dieser trägt in aller Regel, wie oben gezeigt, das Beschaffungsrisiko. Bis zur Grenze der so genannten wirtschaftlichen Unmöglichkeit (teilweise wird auch von Opfergrenze gesprochen; diese liegt i.Ü. hoch) muss somit der zur Lieferung verpflichtete Verkäufer das Risiko einer bei Vertragsschluss noch nicht vorhersehbaren Leistungserschwerung tragen.
Zieht man obigen Beispielsfall heran, wo nach Vertragsschluss der italienische Zulieferbetrieb aufgrund der Corona-Krise ausfällt, so dass der deutsche Abnehmer seinerseits nicht (oder nicht rechtzeitig) gegenüber seinem schweizerischen Abnehmer leisten kann, so käme es erneut stark auf die tatsächlichen Umstände und die vertraglichen Vereinbarungen entlang der Kette Italien – Deutschland – Schweiz an. Eine pauschale Aussage, ob hier eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt, kann kaum getroffen werden.
Eines dürfte jedoch feststehen: Wir haben es mit einer Krise von historischem Ausmaß zu tun. Es ist somit durchaus möglich, dass die Gerichte in absehbarer Zukunft eine Vielzahl solcher Fallkonstellationen zu beurteilen haben werden und hieraus letztlich eine Weiterentwicklung der bestehenden Rechtsprechung zur Störung der Geschäftsgrundlage folgt.
Falls also festgestellt werden muss, dass die gesetzlichen Anforderungen an eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegend nicht erfüllt sind, so ist sodann zu überlegen, ob betroffene Unternehmen nicht vielleicht aufgrund vertraglicher Vereinbarungen eine Vertragsanpassung – etwa im Hinblick auf die Lieferzeit – oder gar eine Vertragsaufhebung verlangen können.
Betroffene müssen also wiederum einen kritischen Blick in die von ihnen geschlossenen Verträge werfen. Was sagen die Verträge zur Risikoverteilung, in wessen Verantwortungsbereich fällt das störende Ereignis?
In Lieferverträgen finden sich häufig so genannte Force Majeure-Klauseln bzw. Hardship-Klauseln, mit denen die Parteien für Fälle höherer Gewalt bereits im Vorfeld vertragliche Vorkehrungen treffen.
Dabei ist zwischen beiden Klauselarten grundsätzlich nochmals zu unterscheiden, wobei es auch Überschneidungen geben kann:
Force Majeure-Klauseln sind für Konstellationen gedacht, in denen die Erfüllung vertraglicher Pflichten (ggf. vorübergehend) unmöglich wird. Zu denken ist an Fälle, in denen die zu liefernde Ware zerstört wird durch Erdbeben, Flut oder einen Sprengstoffanschlag.
Demgegenüber sind Hardship-Klauseln für Fälle gedacht, in denen die Erfüllung grundsätzlich weiterhin möglich ist, aber nur unter erschwerten (wirtschaftlichen) Bedingungen, etwa weil Transportwege abgeschnitten sind.
Es leuchtet jedem Unternehmer unmittelbar ein, dass angesichts der gegenwärtig gravierenden Unwägbarkeiten beide Klauseln nicht bloßes „Beiwerk“ sind, die man im Rahmen der Vertragserstellung eher lieblos auflistet. Sie sind vielmehr elementar wichtig, da sie prophylaktische Regelungen treffen, etwa um den Verzugseintritt und dessen Folgen im Krisenfall aufzuschieben bzw. zu verhindern. Sie müssen dabei selbstverständlich umsichtig und sorgfältig formuliert werden, um im Ernstfall von Nutzen sein zu können.
Zwei Dinge seien der guten Ordnung halber an dieser Stelle nochmals hervorgehoben: Bei der Beurteilung, ob tatsächlich „höhere Gewalt“ vorliegt, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Deutsche Gerichte nehmen höhere Gewalt an, wenn ein von außen kommendes Ereignis vorliegt, das außerhalb des Einflussbereichs der Parteien liegt und das auch durch äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abzuwenden war. Der im Englischen auch verwendete Begriff „Act of God“ mag illustrieren, wie hoch diese Schwelle liegt.
Zudem hat der Eintritt eines – als höhere Gewalt qualifizierten – Leistungshindernisses keine automatische Vertragsbeendigung zur Folge, sondern bewirkt lediglich ein Ruhen der Leistungspflichten für die Dauer des Ereignisses.
Eine Störung oder gar ein Wegfall der Geschäftsgrundlage ist in derartigen Fällen gerade nicht gegeben, es kommt also nicht „automatisch“ zu einer Anpassung der vertraglichen Pflichten an die veränderten Umstände. Die Leistungspflichten werden lediglich für einen bestimmten Zeitraum ausgesetzt. Bei der Formulierung von Force Majeure- oder Hardship-Klauseln muss daher nicht nur auf die klare Regelung der Voraussetzungen Wert gelegt (Wann soll aus Sicht der Vertragsparteien höhere Gewalt vorliegen?), sondern stets auch die beabsichtigte konkrete Folge festgelegt werden. Die Aussetzung der vertraglichen Pflichten gilt in aller Regel nur für einen vorab klar definierten Zeitraum. Die Vertragsparteien müssen daher vorab entscheiden, wie lange dieser Zeitraum sein soll und was gelten soll, wenn dieser Zeitraum überschritten wird.
Unternehmen sollte bewusst sein, dass sie den Begriff und die Definition der „höheren Gewalt“ im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit selbst mit Inhalt und Leben füllen können und sogar müssen. So erklärt sich auch, weshalb gut gemachte Force Majeure-Klauseln über die Jahre hinweg stetig umfangreicher und detaillierter werden (ein gutes Beispiel: Früher wurde häufig schlicht „war“ (engl. Krieg) angeführt wurde, wohingegen man heute liest: „war (declared or not), riot, civil unrest, […]“). Spätestens jetzt sollte eine gut gemachte Force Majeure-Klausel (d.h. eine Klausel, die korrekt mit Regel-/Ausnahmeverhältnissen und Beispielen arbeitet) also auch Fälle von Epidemien, Pandemien, Quarantäne auflisten und ebenso sorgfältig die in Frage kommenden behördlichen oder hoheitlichen Maßnahmen und Eingriffe beschreiben. Selbstverständlich muss all das stets vor dem Hintergrund des auf die Vertragsbeziehung anwendbaren Rechts geprüft und umgesetzt werden.
Ob sich der italienische Zulieferer, der seinen deutschen Kunden wegen eines epidemie-bedingten, behördlich verordneten „Lock-down“ (vorübergehend) nicht beliefern kann, erfolgreich auf einen Fall von Force Majeure berufen kann, ist damit durchaus denkbar – allerdings im Einzelfall noch anhand der Vertrags- und Gesetzeslage zu prüfen. Wenn hingegen große deutsche Automobilhersteller aktuell „freiwillig“ die Produktion unterbrechen und sich gegenüber ihren lieferbereiten Zulieferbetrieben auf höhere Gewalt berufen, so erscheint es zweifelhaft, ob sie rechtlich damit durchdringen (was wegen der Besonderheiten in der Automobilbranche in der Regel aber noch nichts über die Pflicht der Zulieferer aussagt, dennoch lieferbereit zu bleiben).
In jedem Fall zu beachten ist, dass Unternehmen, die nicht rechtzeitig liefern können, prüfen sollten, ob sie nach den bestehenden Verträgen ihren Abnehmern gegenüber verpflichtet sind, diese aktiv und frühzeitig über die Verzögerung und deren Dauer zu informieren. Schlimmstenfalls stellt eine unterbliebene Information eine Verletzung von vertraglichen Informationspflichten dar, die Schadensersatzpflichten auslösen können. Solche ausdrücklichen vertraglichen Informations- und Warnpflichten sind eher die Regel als die Ausnahme, können sich aber ggf. auch als vertragliche Nebenpflicht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergeben.
Abschließend soll ein kurzer Blick auf die sich häufig stellende Frage geworfen werden, welche Schadenspositionen im Verzugsfalle des Verkäufers ersatzfähig sind und welche nicht. In unserem Beispielsfall wird der deutsche Unternehmer regelmäßig entscheiden müssen, ob und zu welchem Zeitpunkt er ggf. einen Deckungskauf tätigt, um eine Haftung gegenüber seinem Abnehmer zu vermeiden.
Juristisch ist hierbei u.a. der ursprüngliche Erfüllungsanspruch des Käufers (auf Lieferung) abzugrenzen von seinem sekundären Anspruch auf Schadenersatz, der u.U. an die Stelle des Erfüllungsanspruchs tritt.
Grundsätzlich besteht neben dem Anspruch auf Vertragserfüllung (Lieferung) des Käufers ein Anspruch auf Ersatz von Verzögerungsschäden, die kausal darauf zurückzuführen sind, dass der Verkäufer als Schuldner die Ware nicht zu einem bestimmten vereinbarten Zeitpunkt, sondern verspätet liefert.
Nach einer älteren Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) kann der Käufer von dem Verkäufer, der verspätet liefert, neben der Vertragserfüllung diejenigen Kosten als Verspätungsschaden verlangen, die dadurch entstanden sind, dass der Käufer infolge des Lieferverzugs des Verkäufers selbst gegenüber seinem Abnehmer in Verzug kommt, der Abnehmer sodann einen Deckungskauf tätigt und den Käufer mit diesen Mehrkosten belastet. Wenn also der deutsche Lieferant zwingend erforderliche Zulieferteile aus Norditalien nicht rechtzeitig erhält und aufgrund dessen seinen Kunden in der Schweiz nicht zum vertraglich festgelegten Zeitpunkt beliefern kann und der schweizerische Kunde sodann einen Deckungskauf vornimmt und den deutschen Lieferanten mit den Kosten dieses Deckungskaufs belastet, kann der deutsche Lieferant diese Mehrkosten von seinem säumigen italienischen Lieferanten als Schadensersatz neben der Leistung ersetzt verlangen.
Für Uneinigkeit zwischen BGH und weiten Teilen der juristischen Literatur sorgte eine vielbeachtete BGH-Entscheidung aus dem Jahr 2013, der jedoch ein eher spezieller Sachverhalt zugrunde lag. Damals hatte der Kläger (Käufer) seinen Lieferanten zuerst erfolgreich auf Lieferung und dann noch zusätzlich auf Ersatz der Mehrkosten eines getätigten Deckungskaufes verklagt. Hierzu entschied der BGH – verkürzt –, der Kläger (Käufer) dürfe die Leistung jedenfalls nicht zweimal fordern und lehnte die Ersatzfähigkeit des Deckungskaufes als Verzögerungsschaden ab – und ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung sei durch die (wenn auch verspätete) Erfüllung entfallen.
In der Praxis spielen die bis heute umstrittenen rechtlichen Detailfragen v.a. dann eine Rolle, wenn der Käufer den Deckungskauf vor Ablauf der Nachfrist, die er dem säumigen Verkäufer gesetzt hat, tätigt. Grundsätzlich muss der Käufer seinem Verkäufer nämlich zunächst eine angemessene Nachfrist einräumen, bevor er einen Deckungskauf tätigt.
Allerdings gibt es Ausnahmen von diesem Grundsatz. Das Gesetz selbst bestimmt, dass eine solche Nachfristsetzung ausnahmsweise entbehrlich sein kann, wenn die Umstände des Einzelfalls dies rechtfertigen. Hier lässt sich im Einzelfall also durchaus argumentieren, etwa mit dem Vorliegen eines relativen Fixgeschäftes, wonach die Leistung zu einem bestimmten vertraglich festgelegten Termin zu erbringen war, weshalb eine verzögerte Leistung nicht mehr als vollständige Vertragserfüllung angesehen wird.
In der Praxis hindert den Käufer jedenfalls nichts daran, einen Deckungskauf bereits vor Ablauf einer Nachfrist vorzunehmen. Er kann unter dem Gesichtspunkt einer ihn treffenden allgemeinen Schadensminderungspflicht sogar gehalten sein, einen Deckungskauf zu tätigen. Das hat auch der BGH in einem früheren Urteil grundsätzlich so gesehen.
Der Käufer läuft in derartigen Fällen eines vorzeitigen Deckungskaufs allerdings Gefahr, die Ware doppelt abnehmen zu müssen, ohne Schadensersatz in Höhe der Mehrkosten des Deckungskaufs verlangen zu können.
Im Ernstfall bleibt Unternehmern daher nur, die drohenden wirtschaftlichen Risiken der ihnen zur Verfügung stehenden Alternativen abzuwägen und kurzfristig profunden Rechtsrat einzuholen, um eine ohnehin ärgerliche Situation nicht weiter zu verschlimmern.
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Dr. Fabian Breckheimer
tradeo.legal
breckheimer@tradeo.legal
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1. Einleitung
Schon Ende März steht fest: Das Jahr 2020 ist ein historisches Jahr und droht mit zahlreichen negativen Superlativen in die Geschichte einzugehen. Soeben mussten sich deutsche Unternehmen noch mit dem Handelskrieg zwischen den USA und der VR China befassen, mit dem Brexit, mit Sanktionen und Embargos, da drängte sich das neuartige SARS-CoV-2 oder „Coronavirus“ ins Bewusstsein der gesamten Welt. Die vorgenannten Krisen und Probleme bleiben derweil ungelöst, wohlgemerkt!
Die negativen wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie sind heute noch nicht absehbar, sie werden aber immens sein.
Deutsche Unternehmen stehen aktuell jeden Tag u.a. vor der schwierigen Frage, welche rechtlichen Konsequenzen Disruptionen in der globalen Lieferkette für sie haben und ob sich die daraus resultierenden wirtschaftlichen Risiken ggf. vertraglich reduzieren lassen. Nicht wenige Geschäftsführer und andere Unternehmensverantwortliche blättern aktuell hilfesuchend in bestehenden Lieferverträgen oder müssen entscheiden, auf welcher vertraglichen Basis man heute noch Lieferzusagen für die Zukunft abgeben kann.
Weder das deutsche Recht noch andere nationale Rechtsordnungen halten für derartige Fragen die eine allgemeingültige Antwort bereit. Es müssen vielmehr eine Vielzahl von Überlegungen im Einzelfall angestellt werden, um „die Lösung“ für das jeweilige Problem zu finden.
Dieser Beitrag zeigt beispielhaft und ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf, welche Rechtsfragen sich für deutsche Unternehmen im Zusammenhang mit Störungen der Lieferkette stellen.
2. Ausgangssituation
Von größter praktischer Relevanz ist aktuell sicherlich die Verpflichtung von Unternehmen innerhalb einer bestehenden Lieferkette gegenüber ihren jeweiligen Abnehmern, verbindlich bestellte Ware zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort zu liefern. Kann ein Lieferant diese vertraglich übernommene Pflicht nicht oder nicht wie geschuldet (also etwa verspätet) erfüllen, drohen Schadensersatzforderungen und gegebenenfalls die Erklärung des Rücktritts oder der Vertragsaufhebung durch den Käufer. Erschwerend kommt hinzu, dass sich diese Disruptionen wellenartig entlang der häufig eng verzahnten Lieferkette ausbreiten, es kommt zu Dominoeffekten. Deutsche Unternehmen sind dabei regelmäßig beides, Abnehmer und Lieferant. Sie stehen also vor der Frage, welchen Ansprüchen sie seitens ihrer Abnehmer ausgesetzt sind und welche Forderungen sie gegenüber ihren eigenen Lieferanten geltend machen können.
3. Wer trägt das Beschaffungsrisiko?
Kann der Lieferant trotz entsprechender Vertragspflicht nicht liefern, ist er zum Ersatz des entstehenden Schadens verpflichtet, wenn er die Nichtlieferung zu vertreten hat.
Handelt es sich bei dem Liefergegenstand um sog. Gattungsschulden, wird nach deutschem Recht vermutet, dass der Verkäufer das Beschaffungsrisiko übernommen hat. Er verspricht mit Abschluss des Kaufvertrages also nicht nur die Verschaffung der Sache oder Leistung überhaupt, sondern auch deren fristgemäße Verschaffung.
Nichts anderes gilt nach dem UN-Kaufrecht, welches bei Exportgeschäften deutscher Unternehmen bekanntlich stets zu berücksichtigen ist. Beim marktbezogenen Gattungskauf, der im internationalen Handel die Regel darstellt, trägt der Verkäufer das Risiko, dass ihm die Beschaffung der Ware gelingt. Er wird grundsätzlich nicht dadurch entlastet, dass ihn sein Lieferant im Stich lässt. Solange noch Ersatzware auf dem Markt erhältlich ist, muss der Verkäufer bis zu einer „äußersten Opfergrenze“ alle Möglichkeiten einer Ersatzbeschaffung ausschöpfen. Gelingt eine Ersatzbeschaffung nur mit Verspätung, kann sich der Verkäufer hinsichtlich der Verspätung nur dann entlasten, sofern er nachweist, dass er durch ein nicht beherrschbares und nicht vorhersehbares Ereignis an der rechtzeitigen Erfüllung gehindert wurde. (Zur Relevanz von Force Majeure sogleich unten 6.).
Hinsichtlich des Beschaffungsrisikos lohnt ein Blick in die eigenen allgemeinen Verkaufsbedingungen: Durch entsprechende Klauseln kann der Verkäufer, falls diese Klauseln im Einklang mit aktueller AGB-Rechtsprechung und damit wirksam vereinbart sind, das Beschaffungsrisiko von sich weisen. Das ist im Übrigen ein praktischer Beleg für die Relevanz von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und weshalb jedes Unternehmen im eigenen Interesse darauf achten muss, seine AGB stets aktuell zu halten und wirksam in seine Lieferverträge einzubeziehen (an beidem krankt es in der Praxis noch zu oft, an der wirksamen Klauselgestaltung und an der wirksamen Einbeziehung der AGB in den Vertrag).
Schon anhand dieser Feststellungen wird deutlich, dass in Sachen Risikoverteilung das Pendel mal so, mal anders ausschlagen kann. Wohl demjenigen, der seine Rechtsposition durch sorgfältige Vertragsgestaltung gestärkt und gesichert hat.
Man stelle sich nun etwa den Beispielsfall vor, dass der deutsche Lieferant zwingend auf Zulieferteile aus China oder Norditalien angewiesen ist, diese aber nicht rechtzeitig bekommen wird. Er selbst ist aber vertraglich verpflichtet, seinen Kunden in der Schweiz zum vertraglich festgelegten Zeitpunkt mit dem Endprodukt zu beliefern. Beharrt der schweizerische Käufer nun auf Vertragserfüllung „wie geschuldet“, droht der deutsche Lieferant bei verspäteter Lieferung oder Nichtlieferung vertragsbrüchig zu werden.
Welche rechtlichen Instrumente können dem deutschen Lieferanten in dieser Situation helfen?
4. Unmöglichkeit
Jedenfalls im allgemeinen Sprachgebrauch käme man rasch zu dem Begriff der Unmöglichkeit: Der Lieferant wird einwenden, ihm sei die Erfüllung seiner Lieferpflicht gegenüber dem Käufer „unmöglich“ geworden. Juristisch ist das Rechtsinstitut der Unmöglichkeit jedoch an enge Voraussetzungen geknüpft.
Da sich der eigentlich zur Leistung verpflichtete Vertragspartner im Falle von Unmöglichkeit einseitig von seiner Verpflichtung lösen könnte, sind deren Voraussetzungen kritisch zu prüfen: Handelt es sich um echte Unmöglichkeit oder bloß um eine Erschwerung der Leistung? Liegt ein dauerhaftes oder ein vorübergehendes Hindernis vor? Geht es um subjektive oder objektive Unmöglichkeit? Ist rechtliche Unmöglichkeit (z. B. als Folge eines Embargos) gleichbedeutend mit tatsächlicher Unmöglichkeit?
In der Praxis stellt das, was laienhaft als Unmöglichkeit angesehen werden könnte, lediglich eine – wenn auch u.U. erhebliche – Erschwerung der Leistung dar. Etwas salopp formuliert: Dass es für den Lieferanten nun teurer und schwieriger geworden ist, die benötigten Teile andernorts zu beschaffen, ist nicht gleichbedeutend mit „unmöglich“. Und so wird der Lieferant häufig unter Inkaufnahme finanzieller Nachteile eine alternative Lieferroute wählen, einen alternativen Zulieferer ausfinden machen müssen, o.ä.
Rechtlich wird erst bei der so genannten wirtschaftlichen Unmöglichkeit eine Grenze gezogen. Denn unmöglich ist nach der Rechtsprechung nicht nur eine „denkgesetzlich unausführbare“ oder infolge von rechtlichen Hindernissen auf keine Weise zu erbringende Leistung, sondern auch eine solche, deren Erfüllung erhebliche praktische Schwierigkeiten entgegenstehen, so dass jeder vernünftige Mensch von einem Erfüllungsversuch Abstand nehmen würde.
Selbst wenn der Lieferant aber bei Vorliegen aller Voraussetzungen von seiner Leistungspflicht (ggf. vorübergehend) befreit würde, so hilft ihm das häufig nur bedingt. Denn auch der Käufer wird dann von seiner Pflicht befreit, den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen, und kann sogar – bei Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen – Schadensersatz vom Lieferanten verlangen. An dieser Stelle kommt dann erneut das oben erwähnte Beschaffungsrisiko zum Tragen.
Wie liegen die Dinge nun im Falle eines Corona-bedingten Stillstands der italienischen Zulieferbetriebe? Beruht dieser Stillstand auf hoheitlichen Zwangsmaßnahmen, ist es grundsätzlich denkbar, dass sich der italienische Zulieferer auf einen Fall der (subjektiven) Unmöglichkeit berufen kann. Es kommt aber naturgemäß auf den konkreten Einzelfall an, auf die tatsächlichen Umstände und auf die vertraglichen Vereinbarungen. Trotz Produktionsstillstands wird der eine italienische Zulieferer wegen ausreichender Lagerbestände noch lieferfähig sein, andere hingegen nicht. Und der eine deutsche Lieferant, der um seine Abhängigkeit von ausländischen Zulieferern weiß, wird entsprechend benötigte Teile ausreichend bevorratet haben, während der andere dies nicht getan hat.
Auch andere nationale Rechtsordnungen kennen die Rechtsfigur der Unmöglichkeit („frustration“ im englischen Recht, „impossibilità“ im italienischen Recht, etc.). Wie nach deutschem Recht sind die Hürden aber hoch und der praktische Anwendungsbereich häufig überschaubar.
5. Störung der Geschäftsgrundlage
Auch an die so genannte Störung der Geschäftsgrundlage ließe sich im Beispielsfall denken. Deren Voraussetzungen sind jedoch gesetzlich eng normiert und die Rechtsprechung wendet dieses Instrument restriktiv an. So setzt eine Störung der Geschäftsgrundlage voraus, dass sich die Umstände, die zur Geschäftsgrundlage geworden sind, schwerwiegend verändert haben, die Parteien den Vertrag bei Voraussehen dieser Veränderung nicht oder nur mit anderem Inhalt geschlossen hätten, und dass einem Vertragsteil unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Zentraler Beurteilungsmaßstab ist die vertragliche oder gesetzliche Risikoverteilung. Es ist daher in jedem Einzelfall zu ermitteln, in wessen Sphäre das eingetretene Risiko nach der vertraglichen oder gesetzlichen Regelung fallen soll. Nur wenn das störende Ereignis weder in die Risikosphäre der einen noch der anderen Partei fällt, kommt eine Vertragsanpassung (oder Vertragsaufhebung als ultima ratio) in Betracht.
Dabei besteht wiederum Einigkeit, dass der bloße Umstand der Leistungserschwerung typischerweise in den Risikobereich des Schuldners fällt; dieser trägt in aller Regel, wie oben gezeigt, das Beschaffungsrisiko. Bis zur Grenze der so genannten wirtschaftlichen Unmöglichkeit (teilweise wird auch von Opfergrenze gesprochen; diese liegt i.Ü. hoch) muss somit der zur Lieferung verpflichtete Verkäufer das Risiko einer bei Vertragsschluss noch nicht vorhersehbaren Leistungserschwerung tragen.
Zieht man obigen Beispielsfall heran, wo nach Vertragsschluss der italienische Zulieferbetrieb aufgrund der Corona-Krise ausfällt, so dass der deutsche Abnehmer seinerseits nicht (oder nicht rechtzeitig) gegenüber seinem schweizerischen Abnehmer leisten kann, so käme es erneut stark auf die tatsächlichen Umstände und die vertraglichen Vereinbarungen entlang der Kette Italien – Deutschland – Schweiz an. Eine pauschale Aussage, ob hier eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt, kann kaum getroffen werden.
Eines dürfte jedoch feststehen: Wir haben es mit einer Krise von historischem Ausmaß zu tun. Es ist somit durchaus möglich, dass die Gerichte in absehbarer Zukunft eine Vielzahl solcher Fallkonstellationen zu beurteilen haben werden und hieraus letztlich eine Weiterentwicklung der bestehenden Rechtsprechung zur Störung der Geschäftsgrundlage folgt.
6. Force Majeure bzw. Hardship
Falls also festgestellt werden muss, dass die gesetzlichen Anforderungen an eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegend nicht erfüllt sind, so ist sodann zu überlegen, ob betroffene Unternehmen nicht vielleicht aufgrund vertraglicher Vereinbarungen eine Vertragsanpassung – etwa im Hinblick auf die Lieferzeit – oder gar eine Vertragsaufhebung verlangen können.
Betroffene müssen also wiederum einen kritischen Blick in die von ihnen geschlossenen Verträge werfen. Was sagen die Verträge zur Risikoverteilung, in wessen Verantwortungsbereich fällt das störende Ereignis?
In Lieferverträgen finden sich häufig so genannte Force Majeure-Klauseln bzw. Hardship-Klauseln, mit denen die Parteien für Fälle höherer Gewalt bereits im Vorfeld vertragliche Vorkehrungen treffen.
Dabei ist zwischen beiden Klauselarten grundsätzlich nochmals zu unterscheiden, wobei es auch Überschneidungen geben kann:
Force Majeure-Klauseln sind für Konstellationen gedacht, in denen die Erfüllung vertraglicher Pflichten (ggf. vorübergehend) unmöglich wird. Zu denken ist an Fälle, in denen die zu liefernde Ware zerstört wird durch Erdbeben, Flut oder einen Sprengstoffanschlag.
Demgegenüber sind Hardship-Klauseln für Fälle gedacht, in denen die Erfüllung grundsätzlich weiterhin möglich ist, aber nur unter erschwerten (wirtschaftlichen) Bedingungen, etwa weil Transportwege abgeschnitten sind.
Es leuchtet jedem Unternehmer unmittelbar ein, dass angesichts der gegenwärtig gravierenden Unwägbarkeiten beide Klauseln nicht bloßes „Beiwerk“ sind, die man im Rahmen der Vertragserstellung eher lieblos auflistet. Sie sind vielmehr elementar wichtig, da sie prophylaktische Regelungen treffen, etwa um den Verzugseintritt und dessen Folgen im Krisenfall aufzuschieben bzw. zu verhindern. Sie müssen dabei selbstverständlich umsichtig und sorgfältig formuliert werden, um im Ernstfall von Nutzen sein zu können.
Zwei Dinge seien der guten Ordnung halber an dieser Stelle nochmals hervorgehoben: Bei der Beurteilung, ob tatsächlich „höhere Gewalt“ vorliegt, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Deutsche Gerichte nehmen höhere Gewalt an, wenn ein von außen kommendes Ereignis vorliegt, das außerhalb des Einflussbereichs der Parteien liegt und das auch durch äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abzuwenden war. Der im Englischen auch verwendete Begriff „Act of God“ mag illustrieren, wie hoch diese Schwelle liegt.
Zudem hat der Eintritt eines – als höhere Gewalt qualifizierten – Leistungshindernisses keine automatische Vertragsbeendigung zur Folge, sondern bewirkt lediglich ein Ruhen der Leistungspflichten für die Dauer des Ereignisses.
Eine Störung oder gar ein Wegfall der Geschäftsgrundlage ist in derartigen Fällen gerade nicht gegeben, es kommt also nicht „automatisch“ zu einer Anpassung der vertraglichen Pflichten an die veränderten Umstände. Die Leistungspflichten werden lediglich für einen bestimmten Zeitraum ausgesetzt. Bei der Formulierung von Force Majeure- oder Hardship-Klauseln muss daher nicht nur auf die klare Regelung der Voraussetzungen Wert gelegt (Wann soll aus Sicht der Vertragsparteien höhere Gewalt vorliegen?), sondern stets auch die beabsichtigte konkrete Folge festgelegt werden. Die Aussetzung der vertraglichen Pflichten gilt in aller Regel nur für einen vorab klar definierten Zeitraum. Die Vertragsparteien müssen daher vorab entscheiden, wie lange dieser Zeitraum sein soll und was gelten soll, wenn dieser Zeitraum überschritten wird.
Unternehmen sollte bewusst sein, dass sie den Begriff und die Definition der „höheren Gewalt“ im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit selbst mit Inhalt und Leben füllen können und sogar müssen. So erklärt sich auch, weshalb gut gemachte Force Majeure-Klauseln über die Jahre hinweg stetig umfangreicher und detaillierter werden (ein gutes Beispiel: Früher wurde häufig schlicht „war“ (engl. Krieg) angeführt wurde, wohingegen man heute liest: „war (declared or not), riot, civil unrest, […]“). Spätestens jetzt sollte eine gut gemachte Force Majeure-Klausel (d.h. eine Klausel, die korrekt mit Regel-/Ausnahmeverhältnissen und Beispielen arbeitet) also auch Fälle von Epidemien, Pandemien, Quarantäne auflisten und ebenso sorgfältig die in Frage kommenden behördlichen oder hoheitlichen Maßnahmen und Eingriffe beschreiben. Selbstverständlich muss all das stets vor dem Hintergrund des auf die Vertragsbeziehung anwendbaren Rechts geprüft und umgesetzt werden.
Ob sich der italienische Zulieferer, der seinen deutschen Kunden wegen eines epidemie-bedingten, behördlich verordneten „Lock-down“ (vorübergehend) nicht beliefern kann, erfolgreich auf einen Fall von Force Majeure berufen kann, ist damit durchaus denkbar – allerdings im Einzelfall noch anhand der Vertrags- und Gesetzeslage zu prüfen. Wenn hingegen große deutsche Automobilhersteller aktuell „freiwillig“ die Produktion unterbrechen und sich gegenüber ihren lieferbereiten Zulieferbetrieben auf höhere Gewalt berufen, so erscheint es zweifelhaft, ob sie rechtlich damit durchdringen (was wegen der Besonderheiten in der Automobilbranche in der Regel aber noch nichts über die Pflicht der Zulieferer aussagt, dennoch lieferbereit zu bleiben).
7. Informationspflichten
In jedem Fall zu beachten ist, dass Unternehmen, die nicht rechtzeitig liefern können, prüfen sollten, ob sie nach den bestehenden Verträgen ihren Abnehmern gegenüber verpflichtet sind, diese aktiv und frühzeitig über die Verzögerung und deren Dauer zu informieren. Schlimmstenfalls stellt eine unterbliebene Information eine Verletzung von vertraglichen Informationspflichten dar, die Schadensersatzpflichten auslösen können. Solche ausdrücklichen vertraglichen Informations- und Warnpflichten sind eher die Regel als die Ausnahme, können sich aber ggf. auch als vertragliche Nebenpflicht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergeben.
8. Lieferverzug und Deckungskauf
Abschließend soll ein kurzer Blick auf die sich häufig stellende Frage geworfen werden, welche Schadenspositionen im Verzugsfalle des Verkäufers ersatzfähig sind und welche nicht. In unserem Beispielsfall wird der deutsche Unternehmer regelmäßig entscheiden müssen, ob und zu welchem Zeitpunkt er ggf. einen Deckungskauf tätigt, um eine Haftung gegenüber seinem Abnehmer zu vermeiden.
Juristisch ist hierbei u.a. der ursprüngliche Erfüllungsanspruch des Käufers (auf Lieferung) abzugrenzen von seinem sekundären Anspruch auf Schadenersatz, der u.U. an die Stelle des Erfüllungsanspruchs tritt.
Grundsätzlich besteht neben dem Anspruch auf Vertragserfüllung (Lieferung) des Käufers ein Anspruch auf Ersatz von Verzögerungsschäden, die kausal darauf zurückzuführen sind, dass der Verkäufer als Schuldner die Ware nicht zu einem bestimmten vereinbarten Zeitpunkt, sondern verspätet liefert.
Nach einer älteren Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) kann der Käufer von dem Verkäufer, der verspätet liefert, neben der Vertragserfüllung diejenigen Kosten als Verspätungsschaden verlangen, die dadurch entstanden sind, dass der Käufer infolge des Lieferverzugs des Verkäufers selbst gegenüber seinem Abnehmer in Verzug kommt, der Abnehmer sodann einen Deckungskauf tätigt und den Käufer mit diesen Mehrkosten belastet. Wenn also der deutsche Lieferant zwingend erforderliche Zulieferteile aus Norditalien nicht rechtzeitig erhält und aufgrund dessen seinen Kunden in der Schweiz nicht zum vertraglich festgelegten Zeitpunkt beliefern kann und der schweizerische Kunde sodann einen Deckungskauf vornimmt und den deutschen Lieferanten mit den Kosten dieses Deckungskaufs belastet, kann der deutsche Lieferant diese Mehrkosten von seinem säumigen italienischen Lieferanten als Schadensersatz neben der Leistung ersetzt verlangen.
Für Uneinigkeit zwischen BGH und weiten Teilen der juristischen Literatur sorgte eine vielbeachtete BGH-Entscheidung aus dem Jahr 2013, der jedoch ein eher spezieller Sachverhalt zugrunde lag. Damals hatte der Kläger (Käufer) seinen Lieferanten zuerst erfolgreich auf Lieferung und dann noch zusätzlich auf Ersatz der Mehrkosten eines getätigten Deckungskaufes verklagt. Hierzu entschied der BGH – verkürzt –, der Kläger (Käufer) dürfe die Leistung jedenfalls nicht zweimal fordern und lehnte die Ersatzfähigkeit des Deckungskaufes als Verzögerungsschaden ab – und ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung sei durch die (wenn auch verspätete) Erfüllung entfallen.
In der Praxis spielen die bis heute umstrittenen rechtlichen Detailfragen v.a. dann eine Rolle, wenn der Käufer den Deckungskauf vor Ablauf der Nachfrist, die er dem säumigen Verkäufer gesetzt hat, tätigt. Grundsätzlich muss der Käufer seinem Verkäufer nämlich zunächst eine angemessene Nachfrist einräumen, bevor er einen Deckungskauf tätigt.
Allerdings gibt es Ausnahmen von diesem Grundsatz. Das Gesetz selbst bestimmt, dass eine solche Nachfristsetzung ausnahmsweise entbehrlich sein kann, wenn die Umstände des Einzelfalls dies rechtfertigen. Hier lässt sich im Einzelfall also durchaus argumentieren, etwa mit dem Vorliegen eines relativen Fixgeschäftes, wonach die Leistung zu einem bestimmten vertraglich festgelegten Termin zu erbringen war, weshalb eine verzögerte Leistung nicht mehr als vollständige Vertragserfüllung angesehen wird.
In der Praxis hindert den Käufer jedenfalls nichts daran, einen Deckungskauf bereits vor Ablauf einer Nachfrist vorzunehmen. Er kann unter dem Gesichtspunkt einer ihn treffenden allgemeinen Schadensminderungspflicht sogar gehalten sein, einen Deckungskauf zu tätigen. Das hat auch der BGH in einem früheren Urteil grundsätzlich so gesehen.
Der Käufer läuft in derartigen Fällen eines vorzeitigen Deckungskaufs allerdings Gefahr, die Ware doppelt abnehmen zu müssen, ohne Schadensersatz in Höhe der Mehrkosten des Deckungskaufs verlangen zu können.
Im Ernstfall bleibt Unternehmern daher nur, die drohenden wirtschaftlichen Risiken der ihnen zur Verfügung stehenden Alternativen abzuwägen und kurzfristig profunden Rechtsrat einzuholen, um eine ohnehin ärgerliche Situation nicht weiter zu verschlimmern.
Mehr Informationen
Dr. Fabian Breckheimer
tradeo.legal
breckheimer@tradeo.legal
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